Immer häufiger entscheiden sich Familien dazu, ihre pflegebedürftigen Angehörigen von einer Betreuungskraft aus dem Ausland unterstützen zu lassen. Die Pflegehilfskräfte leben in der Regel im Haushalt der pflegebedürftigen Menschen und helfen im Haushalt, unterstützen bei der täglichen Hygiene, der Nahrungszubereitung und -aufnahme sowie beim Gang zum Arzt oder zu sozialen Aktivitäten. Wie kann eine Betreuungsperson oder Haushaltshilfe aus anderen EU-Staaten das leisten? Und wie funktioniert die legale Anstellung? pflege.de erklärt die Möglichkeiten und Kosten einer sogenannten 24-Stunden-Pflege sowie zur Kostenübernahme und Voraussetzungen.
Inhaltsverzeichnis
Was bedeutet 24-Stunden-Pflege oder 24-Stunden-Betreuung?
Im Rahmen einer sogenannten „24-Stunden-Pflege“ oder „24-Stunden-Betreuung“ bzw. „Rund-um-die-Uhr-Betreuung“ lebt die betreuende Hilfskraft üblicherweise im Haus oder in der Wohnung zusammen mit dem Pflegedürftigen und ist vor Ort. Meist kommen die Hilfskräfte aus Osteuropa und haben keine pflegerische Ausbildung. Mit ihrer Hilfe ist eine intensive und umfängliche Versorgung im eigenen Heim möglich und ist in vielen Fällen eine Alternative zum Pflegeheim. Der Begriff 24 h ist irreführend, denn auch eine 24-h-Pflegehilfe arbeitet nur 40-60 Stunden in der Woche.
Diese umfassende Pflege mit deutschen Betreuungskräften zu leisten, ist für viele Familien nicht finanzierbar, weshalb sie auf günstigere Arbeitskräfte aus Osteuropa zurückgreifen. Daher hat sich auch die „polnische Pflegekraft“ als Synonym einer „24-Stunden-Betreuungsperson“ etabliert.
Hinweis: Die Bezeichnung „Pflegekraft“ im Zusammenhang mit der 24-Stunden-Pflege zuhause kann irreführen. Die meisten Osteuropäerinnen, die in deutschen Haushalten pflegebedürftige Menschen betreuen, sind keine examinierten Pflegekräfte, sondern vielmehr Betreuungspersonen. Da sie aber die grundpflegerische Versorgung sichern und sich in diesem Zusammenhang die Bezeichnung „Pflegekraft“ etabliert hat, verwendet pflege.de auch Begriffe wie „polnische Pflegekraft“ oder „Pflegekraft aus dem Ausland“.
Was leistet eine sog. 24-Stunden-Pflege zuhause?
Bei einer sogenannten 24-Stunden-Betreuung unterstützt die Hilfskraft überwiegend im Haushalt und bei der Körperhygiene, betreut den Betroffenen tagsüber und begleitet ihn zum Arzt sowie zu anderen Unternehmungen. Diese Aufgaben können sowohl von Angehörigen, Freunden und Bekannten als auch durch Pflegedienste und privat organisierte Betreuungspersonen (zum Beispiel aus dem Ausland) geleistet werden.
Aufgaben einer sog. 24-Stunden-Pflegekraft
Hauswirtschaftliche Tätigkeiten
Die ausländischen Betreuungskräfte oder Haushaltshilfen führen hauswirtschaftliche Tätigkeiten durch und helfen den Pflegebedürftigen unter anderem beim Einkaufen und Kochen, dem Putzen und Aufräumen der Wohnung.
Grundpflege
Betreuungskräfte helfen im Rahmen der Grundpflege pflegebedürftigen Menschen bei ihren Grundverrichtungen. Dazu gehören: Körperpflege (Waschen, Duschen, Baden, Kämmen und so weiter), Mundpflege und Zahnpflege, Toilettengang (Blasen- und Darmentleerung), Aus- und Anziehen, Zubereiten und Aufnahme der Nahrung.
Wichtig: Tätigkeiten der sogenannten medizinischen Behandlungspflege(zum Beispiel Blutdruckmessen, Kompressionstrümpfe an- und ausziehen, Spritzen geben) müssen durch eine examinierte Pflegekraft, beispielsweise durch einen ambulanten Pflegedienst, durchgeführt werden. Diese Aufgaben kann und darf die ausländische Betreuungskraft nicht übernehmen. Medizinische Behandlungspflege wird vom Arzt verordnet und ist eine Leistung der Krankenkasse. Man braucht dafür keinen Pflegegrad.
Aktivierende Pflege
Zu einer Rund-um-Betreuung gehört auch die aktivierende Pflege, also den pflege- oder betreuungsbedürftigen Menschen zu aktivieren, sich mit ihnen zu beschäftigen, sie zu unterhalten und aufzumuntern.
Motivation und Aktivitäten
Betreuer gestalten oft einen Alltag, wie ihn die Betreuten zuvor oft schon lange nicht mehr erlebt haben: Ihre fortwährende Anwesenheit kann alte Menschen, die sich möglicherweise bereits resignierend aus der Welt zurückgezogen haben, neu motivieren und vitalisieren.
Vermittlung einer 24-Stunden-Betreuung und Anstellung
Es gibt im Wesentlichen drei Möglichkeiten, um eine Betreuungsperson anzustellen:
Modell
Erklärung
Ihre Rolle
1. Entsendemodell
Sie treten lediglich als Auftraggeber auf und engagieren über eine deutsche Vermittlungsagentur eine 24-Stunden-Betreuung für Ihren Angehörigen.
Auftraggeber
2. Beauftragung von Gewerbetreibenden
Sie beauftragen eine selbstständige osteuropäische Betreuungsperson – mit oder ohne Unterstützung einer Agentur.
Auftraggeber
3. Anstellung als Arbeitgeber
Sie stellen die Person direkt bei sich an und stellen selbst sicher, dass die Person nach deutschem Arbeitsrecht angestellt ist.
Arbeitgeber
Im Folgenden stellt pflege.de die drei Varianten vor und gibt Ihnen Tipps, wie Sie sichergehen können, dass die beauftragte Betreuungsperson legal in Deutschland beschäftigt wird.
1. Entsendemodell mit einer 24-Stunden-Pflege Agentur
Beim sog. „Entsendemodell“ treten Sie als Angehöriger des Betreuungsbedürftigen in der Regel als Auftraggeber gegenüber einer (deutschen) Agentur auf, die eine 24-Stunden-Betreuung für Ihren Angehörigen organisiert. Die Betreuungskraft ist bei einem weiteren Unternehmen, dem sog. Entsendeunternehmen, in ihrem Heimatland angestellt und wird nach Deutschland entsendet. Die komplette Abwicklung und Kommunikation läuft über die Vermittlungsagentur.
Der Entsender (zum Beispiel der ausländische Pflegedienst) übernimmt die Versicherung der Betreuungsperson und sorgt dafür, dass im Heimatland die notwendigen Steuern und Sozialabgaben gezahlt werden. Dies wird durch die sog. A1-Bescheinigung bestätigt und sollte nachgewiesen werden können.
Die Vermittlung, Organisation und den Transport der Betreuungspersonen übernimmt die Vermittlungsagentur für Sie. Als Auftraggeber zahlen Sie einen vertraglich festgelegten monatlichen Betrag an die deutsche Agentur oder das Unternehmen im Ausland. Von diesem, also ihrem Arbeitgeber, erhält die Betreuungskraft ihr Lohnentgeld.
Aufgrund des deutschen Mindestlohns in der Pflege kann beim Entsendemodell eine ausländische Betreuungskraft nicht unter 2.192 Euro pro Monat legal beauftragt werden. Der gesetzliche Mindestlohn beträgt 13,70 Euro pro Stunde für Pflegehilfskräfte. Für Pflegekräfte mit einer höheren Ausbildung ist er entsprechend höher und liegt zwischen 13,70 Euro und 17,10 Euro. (Stand: September 2022).(1)
2. Beauftragung von Gewerbetreibenden
Als Angehöriger des Pflegebedürftigen können Sie eine selbstständige Betreuungspersonmit einem Gewerbe mit der sogenannten 24-Stunden-Betreuung beauftragen. Beachten Sie jedoch folgendes Risiko: Obwohl die selbstständigen Unternehmer in aller Regel für mehrere Pflegebedürftige arbeiten, besteht das Risiko der sogenannten „Scheinselbstständigkeit“. Das kann zur Folge haben, dass Sie als Auftraggeber Sozialabgaben und Versicherungsleistungen nachzahlen müssen.
Es gibt jedoch auch für dieses Modell Agenturen, die Sie beraten, Sie auf mögliche Risiken aufmerksam machen und diese wirksam ausschließen. Somit sind Sie als Angehöriger und Auftraggeber auf der sicheren Seite.
Da die selbstständigen Betreuungspersonen ihren Stundensatz selbst bestimmen können, variieren die Kosten bei diesem Modell stark. Meist bewegen sich die Kosten für eine selbstständige Person aus Osteuropa zwischen 2.500 und 3.500 Euromonatlich.
3. 24-Stunden-Pflege ohne Agentur: Anstellung als Arbeitgeber
Es gibt außerdem die Möglichkeit, dass Sie als Arbeitgeber auftreten und die Betreuungsperson direkt als Arbeitnehmer anstellen. Bei diesem Modell müssen Sie sicherstellen, dass die beispielsweise osteuropäische Betreuungsperson dem deutschen Arbeitsrecht unterliegt und somit einen angemessenen Anspruch auf Freizeit und Urlaub hat.
24-Stunden-Pflege: Arbeitsrecht und Arbeitszeit
Die Betreuungskraft wird direkt von Ihnen als Arbeitgeber angestellt – so dass Sie mit allen Rechten und Pflichten auftreten. Diese Pflichten umfassen:
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall,
Kündigungsschutz,
Versicherungsschutz,
Arbeitszeiten,
Urlaubsansprüche und
Anspruch auf Sozialleistungen.
Aufgrund des deutschen Arbeitszeitgesetzes müssen Sie als Arbeitgeber in der Regel mehrere Kräfte im Turnus beschäftigen und parallel bezahlen. Eine 24-Stunden-Pflegekraft arbeitet meist zwischen 35 und 40 Stunden pro Woche. Daher ist dieses Modell das teuerste. Die Kosten belaufen sich auf monatlich mindestens3.000 Euro.
Anmeldung einer 24-Stunden-Pflege
Als Arbeitgeber müssen Sie die Pflegekraft anmelden. Dieser Prozess ist etwas aufwändiger. Folgende Schritte müssen Sie beachten:
Reichen Sie einen Suchauftrag bei Ihrer örtlichen Agentur für Arbeit ein. Diese vermittelt Ihnen eine geeignete 24-Stunden-Pflegekraft aus dem In- oder Ausland.
Setzen Sie einen rechtssicheren Arbeitsvertrag auf. Am besten konsultieren Sie dafür einen Rechtsanwalt, um alle Regelungen und Normen inhaltlich korrekt abzubilden. Denken Sie an Arbeitszeit, Urlaubsanspruch, Vergütung, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Kündigungsfristen, Telefon- und Internetnutzung sowie Reisekostenerstattung.
Über die Agentur für Arbeit erhalten Sie eine Betriebsnummer. Diese benötigen Sie, um die Betreuungskraft bei der Sozialversicherung anzumelden. Außerdem notwendig sind eine Anmeldung bei der Krankenkasse und der zuständigen Berufsgenossenschaft.
Als Arbeitgeber sind Sie dafür verantwortlich, Lohnsteuer abzuführen und müssen dafür sorgen, dass eine Lohnsteueridentifikationsnummer vergeben wird.
Es kann unter Umständen notwendig sein, die Pflegekraft beim Einwohnermeldeamt anzumelden. Klären Sie dies vorab mit Ihrer zuständigen Behörde.
24-Stunden-Pflege: Voraussetzungen
Achten Sie im Rahmen der Einstellung einer 24-Stunden-Pflegekraft auf folgende Punkte:
Lassen Sie sich ein ärztliches Attest vorlegen: Ist die Pflegekraft physisch und psychisch geeignet, die anspruchsvollen Aufgaben auszuüben? Ist die Person ausreichend geimpft? Können ansteckende Infektionskrankheiten wie TBC und Hepatitis ausgeschlossen werden?
Prüfen Sie folgende Unterlagen vor Abschluss eines Arbeitsvertrags genau: Zeugnisse, Referenzen, Lebenslauf, polizeiliches Führungszeugnis, Attest.
Für Staatsangehörige der EU-Mitgliedstaaten, des Europäischen Wirtschaftsraums und der Schweiz gilt die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Sie können ohne besondere Genehmigung in Deutschland arbeiten. Voraussetzungen sind ein Sozialversicherungsnachweis und eine sog. „Blaue Versicherungskarte“ (EKVK), die eine Krankenversicherung nachweist.
Seriöse 24-Stunden-Betreuung: Tipps & Checkliste
Schwarze Schafe gibt es überall. Damit Sie direkt an eine vertrauenswürdige und seriöse 24-Stunden-Pflege geraten, sollten Sie auf diese drei Dinge achten:
Ein bezeichnendes Indiz für die legale Vermittlung von Betreuungskräften aus dem Ausland ist die notwendige A1-Bescheinigung. Sie bestätigt, dass die Steuern und Sozialabgaben im Heimatland korrekt abgeführt werden. Lassen Sie sich diese Bescheinigung vom Vermittlungsunternehmen zeigen, wenn Sie sichergehen wollen, dass die Betreuungskraft legal beschäftigt wird.
Um ganz sicher zu gehen, müssten Sie letztlich alle Verträge prüfen, welche die Betreuungsperson mit ihrem Arbeitgeber im Heimatland geschlossen hat. Dies kann niemand leisten, weshalb Sie sich im Zweifel an Selbsthilfegruppen und Verbände (VHBP e. V.) wenden können, wie in der folgenden Infobox beschrieben.
Wenn das Vermittlungsunternehmen eine deutsche Gesellschaftsform (zum Beispiel GmbH) hat, unterliegt es dem deutschen Recht und muss sich auch an deutsche Gesetze halten. Dies ist ein erstes, jedoch beileibe nicht ausreichendes Anzeichen für ein seriöses Angebot.
Checkliste für die Vermittlung einer sog. 24-Stunden-Betreuung
Haben Sie schon von positiven Erfahrungen mit dieser Agentur von Freunden oder Bekannten gehört?
Hat Sie die Agentur ausführlich und umfassend informiert?
Haben Sie einen positiven Eindruck von der Agentur (Sprache, Freundlichkeit, Qualifikation und so weiter)?
Geht die Agentur individuell auf Sie ein und nimmt sie sich Zeit, um alle relevanten Anforderungen für die optimale Betreuungskraft zu erfassen?
Liegt der Preis einer Betreuungsperson bei ca. 2.200 Euro (Selbstständigenmodell & Entsendemodell) monatlich? Das ist ein erstes Zeichen für Legalität.
Bietet die Agentur Unterstützung, falls die Betreuungskraft einmal ausfällt und krank ist?
Ist die Agentur jederzeit für Sie erreichbar?
Setzt die Agentur einen schriftlichen Vertrag über die Vermittlung auf?
Hat die vermittelte Betreuungsperson eine sog. A1-Bescheiningung?
24-Stunden-Pflege: Kosten und Kostenübernahme
Wer eine Betreuungsperson zuhause anstellen möchte, fragt sich natürlich: Was kostet eine sogenannte 24-Stunden-Pflege beziehungsweise eine 24-Stunden-Betreuung? Das kommt ganz auf das Anstellungsmodell an, für das sich die Familien entscheiden.
24h-Pflege: Kosten im Überblick
Anstellungsmodell
Kosten pro Monat
Entsendemodell
ab ca. 2.200 Euro
Anstellung einer selbstständigen Person (Gewerbetreibende)
ca. 2.500 – 3.500 Euro
Anstellung als Arbeitgeber
ab ca. 3.000 Euro
Rund-um-die-Uhr-Betreuung bei Pflegegrad 2: Beispielrechnung
Monatliche Kosten für eine sog. 24-Stunden-Betreuung bei Pflegegrad 2
Kosten für eine Betreuungskraft mit befriedigenden Deutschkenntnissen
2.300 Euro
Vermittlungs- und Betreuungskosten der Agentur
100 Euro
Fahrtkosten für An- und Abreise (auf den Monat umgerechnet)
100 Euro
Pflegegeld bei Pflegegrad 2
– 332 Euro
Verhinderungspflege
– 134,33 Euro
Kurzzeitpflege (umgewandelt)
– 67,16 Euro
Mögliche Steuervergünstigung
– 150 Euro
Verbleibender Eigenanteil
1.816,50 Euro
Monatliche Kosten für eine 24-Stunden-Betreuung & ambulantem Pflegedienst bei Pflegegrad 2
Kosten für eine Betreuungskraft mit befriedigenden Deutschkenntnissen
2.300 Euro
Vermittlungs- und Betreuungskosten der Agentur
100 Euro
Fahrtkosten für An- und Abreise (auf den Monat umgerechnet)
pflege.de: Plötzlich erfährt das Thema 24-h-Pflege eine hohe mediale Aufmerksamkeit. Wie erklären Sie sich das plötzliche Interesse?
Frederic Seebohm: Das ist eine gute Frage, die mich tatsächlich auch beschäftigt hat. Die Situation erinnert an die Geschichte „Des Kaisers neue Kleider“, bei der keiner sehen wollte, dass der Kaiser eigentlich nackt war. Bisher haben sich alle stillschweigend darauf eingerichtet, dass diese Form der Betreuung in vielen Fällen illegal durchgeführt wird und trotzdem funktioniert. Doch plötzlich gibt es zum ersten Mal dazu ein höchstrichterliches Urteil. Jetzt ist unübersehbar deutlich geworden, in welcher schwierigen Rechtslage wir uns befinden. Und natürlich wurde dadurch auch die Politik aufgescheucht und musste sich dazu positionieren. Sonst könnte noch der Eindruck entstehen, die Politik hätte das bewusst gebilligt und möglicherweise gewollt. Was tatsächlich auch so war, meine ich.
pflege.de: Gab es denn Versuche der Politik, sich dem Thema zu nähern?
Frederic Seebohm: Es gab einen Versuch des Bundesgesundheitsministeriums im Rahmen der Pflegereform. Geplant war ein neuer § 45f SGB XI, um die Betreuung in häuslicher Gemeinschaft durch die Pflegeversicherung finanziell wenigstens teilweise zu stützen. Dieser Plan fiel aber dem Wahlkampf zum Opfer. Auch war es nur ein leistungsrechtlicher Anspruch und hätte das arbeitsrechtliche Problem nicht gelöst.
pflege.de: Was bedeutet die sogenannte 24 Stunden Pflege in der Praxis? Denn nicht immer sind die Betreuungskräfte Tag und Nacht im Einsatz, also 24 Stunden in Bereitschaft.
Frederic Seebohm: Die Tücke liegt in der Formulierung „24 Stunden“. Das leisten die Betreuungskräfte sowieso nicht. Unserer Schätzung nach sind es zwischen 10 und 50 Prozent der Betroffenen, die in der Nacht gar keine Betreuung brauchen. Aber wie genau will man das feststellen? Oft wollen alte Menschen nachts nicht alleine sein, sie haben Angst alleine im Haus zu sein. Nun stellt sich die Frage, ist dann das schon Bereitschaftszeit?
pflege.de: Genau, das wäre jetzt meine nächste Frage gewesen. Wie ist es einzuschätzen? Im Urteil ist zu lesen, dass laut Klägerin die Tür im oben genannten Fall immer geöffnet bleiben musste, damit sie eventuelle Hilferufe hören und gegebenenfalls helfen kann. Bedeutet das, dass eine Betreuungskraft, die im Haus wohnt, grundsätzlich Anspruch auf die gesamte Zeit also möglicherweise auf 24 Stunden hat?
Frederic Seebohm: Um zu klären, ob Bereitschaftszeit vorliegt, können Sie sich folgende Frage stellen: Könnte die Betreuungsperson auch in einem Hotel in der Nähe wohnen? Wird ihre Anwesenheit nachts wirklich nicht benötigt? Wenn das so ist, dann gibt es jedenfalls in der Nacht keine Bereitschaft. Aber auch tagsüber stellt sich die Frage: Sind die Arbeitszeiten fest geregelt oder werden die Pausenzeiten vereinbart. Das bedeutet: Werden die Pausen spontan vergeben und sind nicht fest planbar, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es sich auch tagsüber um Bereitschaftszeit handelt.
pflege.de: Das ist kompliziert. Wie kann ich mich absichern?
Frederic Seebohm: Ich würde Folgendes empfehlen: Lassen Sie sich von der Agentur beschreiben, auf welcher Basis die Betreuungskraft tätig ist. Ist sie angestellt, dann stellt sich die Frage: Wie kann Bereitschaftszeit vermieden werden? Sprechen Sie mit der Agentur, denn das ist eine Frage, die das Entsendeunternehmen in Osteuropa beantworten muss. Ganz anders verhält es sich aber, wenn die Betreuungsperson eine freie Mitarbeiterin ist! Dann gilt das deutsche Arbeitsrecht grundsätzlich nicht. Dann müssen auch keine drohenden Bereitschaftszeiten vermieden werden. Das bedeutet allerdings nicht, dass freie Mitarbeiterinnen nun nach Lust und Laune auch in der Nacht eingesetzt werden können. Eine solche Arbeit wird heutzutage von Betreuungspersonen nicht mehr angenommen. Unzumutbare Einsätze werden einfach abgelehnt. Beziehungsweise die Betreuungspersonen reisen innerhalb weniger Tage wieder ab, wenn sie feststellen, dass sie ausgenutzt werden.
pflege.de: Was ist denn, wenn der Betreuungsbedarf während der Zeit schleichend zunimmt und mir gar nicht bewusst ist, dass ich nicht dem deutschen Arbeitsrecht entspreche. Hilft da nicht das sogenannte Entsendungsmodell? Was bedeutet das?
Frederic Seebohm: Entsendung ist nicht gleich Entsendung. Es kommt auf das Land an, aus dem entsendet wird. Wenn eine bulgarische Arbeitnehmerin nach Deutschland entsendet wird, dann gilt das deutsche Arbeitsrecht. Mindestlohn und Bereitschaftszeit sind dann ein Thema, an dem man nicht vorbeikommt. Kommt die Betreuungskraft hingegen aus Polen, handelt es sich in der Regel um die Entsendung einer arbeitnehmerähnlichen Betreuungsperson. Das heißt, sie arbeitet als freie Mitarbeiterin, ist aber gesetzlich sozialversichert. Für sie als freie Mitarbeiterin gilt das deutsche Arbeitsrecht nicht.
pflege.de: Die SPD und die Grünen sind die einzigen Parteien, die das Thema der Rechtssicherheit für 24-h-Pflegekräfte, also osteuropäische Betreuungskräfte in ihrem Wahlprogramm aufgenommen haben. Allerdings wird nicht konkret erwähnt, wie sie Rechtssicherheit schaffen wollen. Gibt es denn einen bezahlbaren Weg, der für alle fair ist?
Frederic Seebohm: Bessere Bezahlung ist immer wünschenswert – aber sie löst nicht das Grundproblem. Die Wahrheit ist, dass Betreuung in häuslicher Gemeinschaft nicht mit dem deutschen Arbeitsrecht abgebildet werden kann. Und die Forderung der SPD ist beschämend. Sie hatten doch das Bundesarbeitsministerium unter ihren Fittichen und hätten längst eine gute Regelung finden können. Im Laufe eines Jahres reisen 700.000 vor allem Frauen als Betreuungspersonen in Deutschland ein und aus. Es müsste für ein SPD-geführtes Arbeits- und Sozialministerium eigentlich eine Frage der Ehre sein, diesen Menschen endlich Sozialversicherungsschutz zu gewähren.
Einen bezahlbaren Weg gäbe es durchaus, wenn wir es wie die Österreicher machen würden. Die Betreuungskräfte gelten dort seit 2007, also seit 14 Jahren, als freie Mitarbeiterinnen und verfügen über einen soliden Sozialversicherungsschutz. Mit diesem Status sind sie in der Lage, den zeitlichen Rahmen ihrer Leistungen unabhängig von strengen Arbeitszeitregelungen selbst festzulegen und flexibel auf die Bedürfnisse der zu Betreuenden und ihrer Angehörigen einzugehen.
Meiner Meinung nach ist der jetzige Zustand von der Politik gewollt. Wäre er nicht gewollt, hätte er längst geändert werden können.
Frederic Seebohm
pflege.de: Sehen Sie eine Chance, dass es vielleicht doch noch von der Politik geregelt wird?
Frederic Seebohm: Meine Hoffnung ist, dass die neue Regierung nicht weiterhin zynisch ist und erkennt, dass wir die Betreuungspersonen brauchen und sie als echte Säule der Versorgung anerkennen. Wir müssen doch dankbar sein, für alle die uns helfen und den ständig größer werdenden Mangel an examinierten Pflegekräften lindern. Denn jeder zuhause versorgte alte und kranke Mensch muss nicht in einem Heim gepflegt werden, für das es weitere examinierte Pflegekräfte bräuchte. Es gelingt unser Gesellschaft ja nicht einmal mehr, die bestehenden Kliniken, Heime und ambulanten Dienste mit ausreichend vielen Pflegekräften auszustatten. Ich hoffe, dass sich diese Erkenntnis auch im Arbeitsministerium durchsetzt. Ein Blick über die Grenze nach Österreich zeigt, wie einfach es geht. Auch wenn es natürlich am Stolz nagt, sich vom Nachbarn etwas Gutes abzuschauen.
Das Interview mit Herrn Seebohm führte Martina Rosenberg. Sie kennt die Situation aus eigener Erfahrung und hat die Pflege ihrer Eltern nur durch die Unterstützung von polnischen Betreuungskräften zuhause durchführen können.
Meine Eltern hätten ohne diese Hilfe – obwohl wir im Haus wohnten – nicht bis zum Schluss zuhause bleiben können. Ich bin heute noch dankbar, dass wir diese wunderbaren Menschen bei uns hatten.
In Deutschland pflegen ausländische sog. 24-Stunden-Pflegekräfte schätzungsweise 250.000 pflegebedürftige Menschen. Ohne diese Hilfe aus dem Ausland würde das deutsche Pflegesystem nicht funktionieren, meint der Geschäftsführer des Verbandes für häusliche Betreuung und Pflege e.V. (VHBP) Frederic Seebohm. Im pflege.de-Interview verrät er, wie Familien eine 24-Stunden-Betreuung legal beschäftigen.
Herr Seebohm, was ist eine 24-Stunden-Pflegekraft?
Der Begriff „24-Stunden-Pflegekraft“ ist eine doppelte Unwahrheit. Es handelt sich i. d. R weder um ausgebildete Pflegekräfte, noch arbeiten diese Menschen 24 Stunden am Tag. Es ist wichtig, dass wir von Betreuungspersonen sprechen, die in häuslicher Gemeinschaft mit den Pflegebedürftigen leben.
Info
Die „24-Stunden-Pflege“ im Sprachgebrauch
Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich der Begriff „24-Stunden-Pflege“ für die Rund-um-die-Uhr-Betreuung bzw. eine sog. 24-Stunden-Betreuung durch ausländische Kräfte durchgesetzt. Anfangs handelte es sich nur um sog. polnische Pflegekräfte. Heute kommen die Kräfte auch aus anderen osteuropäischen Ländern. Die Bezeichnung „Pflegekraft“ ist oft nicht korrekt: Die meisten Osteuropäer, die in deutschen Haushalten ältere Menschen betreuen, sind keine examinierten Pflegekräfte, sondern Betreuungspersonen. Da sich aber in diesem Zusammenhang die Bezeichnung „Pflegekraft“ etabliert hat, verwendet pflege.de Begriffe wie „polnische Pflegekraft“, „Pflegekraft aus dem Ausland“ oder „24-Stunden-Pflege“.
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Was leistet die sog. 24-Stunden-Pflegekraft?
Die Personen aus Osteuropa haben ganz unterschiedliche Erwerbsbiografien, in aller Regel aber keine pflegerische Qualifikation. Sie leisten das, was auch jeder Familienangehörige tut, wenn er sich um den Pflegebedürftigen kümmern würde. Die Statistiken zeigen, dass ungefähr 25 Prozent der Arbeitszeit auf die Grundpflege entfallen und 40 Prozent auf Hauswirtschaft. 35 Prozent sind Betreuungsaufgaben. Das heißt: 75 Prozent der Arbeitszeit ist keine Pflege.
Der Begriff „24-Stunden-Pflegekraft“ ist eine doppelte Unwahrheit. Es handelt sich i. d. R weder um ausgebildete Pflegekräfte, noch arbeiten diese Menschen 24 Stunden am Tag.
Frederic Seebohm
Wie kann ich eine sog. 24-Stunden-Pflege legal anstellen?
Grob gesagt gibt es drei Modelle: Das Entsendemodell, die Beauftragung einer gewerbetreibenden Person oder die direkte Anstellung einer Betreuungskraft als Arbeitnehmer. Eine Agentur kümmert sich um die Vermittlung der sog. 24-Stunden-Pflege. Dazu habe ich folgende Tipps:
Die Agentur muss transparent sein! Wenn Sie mit einer Vermittlungsagentur zusammenarbeiten, dann sollte Ihnen das Unternehmen die Abläufe der Vermittlung erklären können. Ist die Agentur in der Lage, nachvollziehbar darzulegen, was die rechtliche Grundlage für die Vermittlung ist? In aller Regel befindet sich die Vermittlungsagentur in Deutschland, die Mitarbeiter sprechen Deutsch und kennen die deutschen Strukturen.
Bewerten Sie Preise richtig! Die sog. 24-Stunden-Pflegekraft erhält aktuell netto zwischen 1.100 und 1.400 Euro. Alles, was darunter liegt, kann nicht mit rechten Dingen zugehen. Das hängt vom Anstellungsmodell, von den Sprachkenntnissen, der Erfahrung und der Fortbildung ab, die die Betreuungskraft hat. Darauf kommen dann noch Steuern und Sozialversicherungsbeiträge, die sowohl von selbständig Gewerbetreibenden als auch von angestellten Personen entrichtet werden müssen. Hinzu kommt ggf. die Gebühr der Vermittlungsagentur. Sie ist ja im Zweifelsfall auch Problemlöserin, also bspw., wenn ein Ersatz wegen Nichtgefallen oder Urlaub oder Krankheit gefunden werden muss. Realistisch kann ich eine Betreuungsperson mit allen zusätzlichen Kosten unter 2.000 Euro pro Monat nicht engagieren, egal ob sie selbständig angestellt oder durch eine Agentur entsendet ist.
Schauen Sie nach der Stetigkeit des Anbieters! Es sollte sich bei der Vermittlungsagentur um ein angemeldetes Unternehmen handeln, z. B. eine GmbH. So haben Sie die Gewähr, dass es sich um eine seriöse Firma handelt, die auch greifbar ist für die deutschen Behörden und Gerichte.
Gibt es die Möglichkeit, die Betreuungsperson persönlich kennenzulernen und zu treffen, bevor sie beim Pflegebedürftigen einzieht?
Das ist höchst unwahrscheinlich, weil die Betreuungsperson ja im Ausland ist oder noch bei einem anderen Kunden arbeitet. Ein vorheriges Treffen ist also meist nicht möglich. Sie können aber mit der Person telefonieren, um zu schauen, wie man miteinander klarkommt und wie gut die Sprachkenntnisse tatsächlich sind.
Ein vorheriges Treffen ist meist nicht möglich. Sie können aber mit der Person telefonieren, um zu schauen, wie man miteinander klarkommt und wie gut die Sprachkenntnisse tatsächlich sind.
Frederic Seebohm
Wie kann ich sichergehen, dass Standards in der Pflege und Betreuung eingehalten werden?
Standards gibt es nur für ausgebildete Pflegekräfte und da wir es bei den sog. 24-Std-Pflegekräften nicht mit ausgebildeten Pflegekräften zu tun haben, gelten auch keine Standards. Sie können sich als Familie oder Freund des Pflegebedürftigen Fortbildungen, Referenzen und Zeugnisse früherer Kunden zeigen lassen. Wenn die Betreuungsperson da ist, können Sie einen ambulanten Pflegedienst hinzuzuziehen. Der erhält dann die Aufgabe, zu überprüfen, ob die Grundpflege, die die Betreuungsperson leistet, auch sachgerecht durchgeführt wird.
Wie viel Sicherheit kann mir eine Vermittlungsagentur geben, wenn ich die Betreuungskraft über sie beschäftige? Was passiert bspw., wenn die Betreuungsperson kurzfristig ausfällt?
Wenn die Betreuungsperson ausfällt, aufgrund von Krankheit, Unfall, Urlaub oder auch, weil sie einfach keine Lust mehr hat — das kommt leider sehr häufig vor — dann beschafft die Vermittlungsagentur eine Ersatzperson. Bei der Familie bleibt immer ein gewisses Risiko, dass die Betreuung schlagartig ausfällt. Möglicherweise muss dann eine Kurzzeitpflege eingeplant werden. Eine Vermittlungsagentur wird Ihnen eine ununterbrochene Präsenz i. d. R. nicht garantieren können. Das ist organisatorisch nicht möglich.
Welche Dokumente muss ich prüfen, bevor ich eine Betreuungskraft engagiere?
Das Wesentliche, was sich Familien anschauen müssen, ist der Vertrag, den sie schließen – entweder mit der Betreuungsperson selbst, wenn es sich um eine gewerbetreibende handelt, oder aber den Dienstleistungsvertrag mit einem Entsendeunternehmen aus Osteuropa, welches die Betreuungsperson schickt. Im zweiten Fallen sollten Sie sich die A1-Bescheinigung vorlegen lassen, um sicher zu sein, dass die Person in ihrem Heimatland sozialversichert ist. Diese Bescheinigung beweist, dass eine Person im dortigen Kranken- und Rentenversicherungssystem registriert ist. Wenn die Betreuungskräfte selbständige Gewerbetreibende sind, lassen Sie sich die Haftpflichtversicherung vorlegen. Damit Sie bei Schäden abgesichert sind, welche die Person verursacht.
Bei der Familie bleibt immer ein gewisses Risiko, dass die Betreuung schlagartig ausfällt. Möglicherweise muss dann eine Kurzzeitpflege eingeplant werden.
Frederic Seebohm
Für viele sind die Sprachkenntnisse der Betreuungskraft ein wichtiges Auswahlkriterium. Wie kann man die Deutschkenntnisse einer 24-Stunden-Betreuungskraft nachweisen?
Kreative Formulierungen wie „überdurchschnittlich gut“ helfen nicht weiter, weil sie subjektiv sind. Bestehen Sie also besser darauf, dass der Sprachstand entsprechend den Vorgaben des europäischen Referenzrahmen für Sprachen eingeordnet wird, also von A1 für Anfänger bis C2 für annähernd muttersprachliche Kenntnisse. Der europäische Referenzrahmen beschäftigt sich allerdings mit vier Dimensionen: Sprechen, Lesen Verstehen und Schreiben. Für unsere Branche spielen Lesen und Schreiben keine Rolle. Es muss genügen, dass die Betreuungskraft spricht und versteht.
Wie werden freie Zeiten und Urlaub für die sog. 24-Stunden-Betreuungskräfte geregelt?
Die Betreuer können natürlich nicht Tag und Nacht arbeiten kann. Entweder wird am Tag oder in der Nacht gearbeitet. Beides geht nicht. Jeder braucht Zeiten, um wieder zu Kräften zu kommen.
Bei Arbeitnehmern in einem Angestelltenverhältnis gelten sämtliche Schutzvorschriften des deutschen Arbeitsrechtes. Das heißt, die Betreuungskräfte haben Anspruch auf Urlaub. Sie haben i. d. R. eine 40- bis 48-Std-Woche und können die Stunden verteilen. Die Betreuungskraft braucht mindestens einen freien Tag pro Woche. Arbeitgeber müssen arbeitsfreie Zeiten gewährleisten. Für Familien heißt das, dass sie überlegen müssen, wer die Betreuungskraft dann vertritt. Arbeitsrechtlich ist das eine Herausforderung, auf die sich Familien gut vorbereiten sollten.
Gewerbetreibende haben vertraglich keinen Urlaub, sondern arbeitsfreie Zeiten. Das heißt, sie sind vertraglich zu bestimmten Zeiten und Dienstleistungen verpflichtet. Diese Zeiten sind Verhandlungssache.
Die Betreuer können natürlich nicht Tag und Nacht arbeiten. Entweder wird am Tag oder in der Nacht gearbeitet. Beides geht nicht. Jeder braucht Zeiten, um wieder zu Kräften zu kommen.
Frederic Seebohm
Wie lange bleiben die 24-Stunden-Betreuungskräfte in den Haushalten?
Es gibt Einsatzzeiten, die dauern vier Wochen und es gibt welche, die dauern ein halbes Jahr. Typischerweise liegen sie bei zwei bis drei Monaten. Das hängt auch von der Jahreszeit ab. Wenn Weihnachten bevorsteht, möchten die Betreuungspersonen meist zuhause bei ihren Familien sein, das ist ja ganz verständlich.
Was passiert, wenn die Chemie zwischen der 24-Stunden-Betreuungskraft und dem Pflegebedürftigen nicht stimmt? Welche Möglichkeiten haben Familien, die Betreuungskraft wieder „loszuwerden“ und welche Möglichkeiten hat die Betreuungskraft, vorzeitig abzubrechen?
Das ist ein sehr ungleiches Machtverhältnis. Die Betreuungsperson kann jederzeit gehen und tut das faktisch auch. Dagegen können Sie als Familie oder Angehöriger des Pflegebedürftigen nichts tun. Also wenn die Chemie nicht stimmt und die Betreuungsperson sich nicht willkommen und schlecht behandelt fühlt, dann geht sie eben wieder. Und zwar sehr schnell, denn es gibt genug andere Haushalte in Westeuropa, die ebenfalls eine Betreuungsperson suchen.
Wenn Sie sich als Familie trennen möchten, haben Sie die Schwierigkeit, schnell eine neue Betreuungsperson finden zu müssen. Dann ist es wertvoll, eine Vermittlungsagentur an der Seite zu haben. Mit der ist in aller Regel vereinbart, dass die Familie die Betreuungsperson ohne Begründung austauschen kann. Das dauert dann natürlich einige Tage. Alle Beteiligten möchten, dass es zwischen den Menschen harmoniert. Und wenn das nicht der Fall ist, dann hat auch die Vermittlungsagentur ein Interesse daran, dass es zu einem Austausch kommt.
Ein Klassiker ist, die Wäsche des Sohnes noch eben mitzuwaschen oder doch bitte auch noch die Küche der Schwiegertochter sauber zu machen.
Frderic Seebohm
Wo liegen die Grenzen des Tätigkeitsgebiets einer 24-Stunden-Betreuungskraft? Sind Ihnen Fälle bekannt, bei denen man der Betreuungskraft zu Unrecht Aufgaben aufgetragen hat?
Das gibt es leider schon, z. B. in Mehrgenerationen-Haushalten. Ein Klassiker ist, die Wäsche des Sohnes noch eben mitzuwaschen oder doch bitte auch noch die Küche der Schwiegertochter sauber zu machen. Das ist aber in aller Regel durch den Vertrag ausgeschlossen. Darin steht explizit, dass sich die Betreuungsperson oder das Entsendeunternehmen verpflichtet, sich um die zu betreuende Person zu kümmern. Und eben nur um diese.
Außerdem gibt es eine Grenze, was die Pflege angeht: Seriöse Unternehmen legen Wert darauf, dass die Betreuungsperson nur Grundpflege leistet und keine Behandlungspflege. Die medizinische Behandlungspflege (wie z. B. Injektionen bei Diabetes) darf aus Versicherungsgründen nur der ambulante Pflegedienst ausführen.
Die Kombination aus sog. 24-Stunden-Betreuung und dem ambulanten Pflegedienst klingt wie die perfekte Mischung.
Sie ist sogar ideal. Als Familie schlagen Sie mehrere Fliegen mit einer Klappe:
Die Betreuungsperson aus dem Ausland wird pflegefachlich beaufsichtigt.
Es gibt eine Art Nothilfe, wenn sich bspw. der Gesundheitszustand des Pflegebedürftigen verschlechtert: Der Pflegedienst kann dann reagieren und ggf. Anweisungen geben. Ich schließe damit eine enorme Sicherheitskomponente mit ein.
Zudem kann ich sicherstellen, dass die Betreuungsperson eben nicht in die Behandlungspflege hineingerät.
Durch die Kombination entlaste ich die Betreuungsperson psychisch. Sie hat eine kundige, neutrale Instanz als Hilfsperson an der Seite. Die unterstützt, gibt Ratschläge, zeigt Handgriffe und leitet ggf. an.
Der Nachteil: Die Kombination aus der sog. 24-Stunden-Betreuung und dem ambulanten Pflegedienst ist teurer. Die Leistung des ambulanten Dienstes, und sei es auch nur einmal in der Woche ein Kontrollbesuch, muss die Familie zusätzlich bezahlen. Sie wird zwar als Pflegesachleistung mit der Pflegekasse abgerechnet, aber das wird dann anteilig vom Pflegegeld abgezogen.
Sind Ihnen viele Fälle bekannt, bei denen die Betreuung in der häuslichen Gemeinschaft gut geklappt hat und vielleicht sogar richtig gute Gemeinschaften daraus geworden sind?
Ja, etliche. Die Betonung liegt aber auf „geworden“. Ich kenne viele, die wirklich froh und glücklich GEWORDEN sind. Am Anfang ist das oft kein Spaß. Niemand findet es lustig, wenn plötzlich eine wildfremde Person nicht nur in meiner Häuslichkeit auftaucht, sondern auch bis zu meinem Intimbereich vordringt. Ich habe aber schöne Beispiele vor Augen, in denen die Familien und insbesondere die Betreuungsbedürftigen regelrecht aufblühen und Ängste verlieren, einfach weil sie zuhause wohnen bleiben können. Und nach und nach entwickelt sich auch eine Beziehung zwischen der Betreuungskraft und der pflegebedürftigen Person. Man lernt sich mit der Zeit schätzen.
Ich muss die Betreuungsperson so behandeln, wie ich auch gute Freunde behandeln würde: mit Wertschätzung, Freundlichkeit, Liebenswürdigkeit.
Frederic Seebohm
Haben Sie noch ein paar Tipps für unsere pflege.de-Leser zur Beschäftigung von Betreuungskräften aus dem Ausland?
Ja! Folgende drei Dinge haben sich meiner Erfahrung nach am meisten bewährt:
Die Betreuungsperson muss sich wirklich wohlfühlen. Ich muss sie so behandeln, wie ich auch gute Freunde behandeln würde: mit Wertschätzung, Freundlichkeit, Liebenswürdigkeit. Und das, indem ich nicht knauserig bin, sondern dankbar.
Machen Sie sich bewusst, dass die Betreuungsperson auch nur ein Mensch ist. Sie kann nicht mehr leisten, als Sie selbst auch. Das heißt: keine „24-Stunden-Betreuung“ im wörtlichen Sinn. Letztlich kann jeder nur sieben bis acht Stunden am Tag arbeiten. Und die darf ich nicht zerstückeln auf 24 Stunden. Die Betreuungsperson braucht eine ausreichende Nachtruhe. Wenn sie jede Nacht dreimal aufstehen muss und ich als Kunde dann erwarte, dass sie tags darauf fröhlich und munter ihren Dienst erfüllt, dann kann ich nur sagen: Das ist Selbstbetrug!
Erwarten Sie nicht zu viel von den Sprachkenntnissen.Meistens ist es ohnehin so, dass es vielmehr auf das Herz ankommt und nicht auf die Sprache. Das heißt: Wenn die Betreuungsperson eine liebevolle Grundhaltung gegenüber alten, kranken und schwachen Menschen hat, dann ist das viel wichtiger als ausgezeichnete Deutschkenntnisse.
Die Pflegekasse übernimmt die Kosten für eine 24-Stunden-Betreuung nicht auf direktem Weg. Doch es gibt Leistungen, die Sie bei der Kasse abrufen können und die Sie dann für die Finanzierung der 24-Stunden-Kraft verwenden dürfen. Und das können mehrere Hundert Euro im Monat sein! Pflege-Expertin Anna Huber erklärt, wie das funktioniert.
Frau Huber, auf welche Kosten müssen sich Familien einstellen, wenn sie eine 24-Stunden-Betreuung für ihren Angehörigen organisieren möchten?
Grundsätzlich können sie für eine 24-Stunden-Kraft mit einem monatlichen Betrag ab 2.300 Euro rechnen. Darin sind alle Kosten enthalten, die diese Betreuungskraft ausmachen.
Wie setzen sich diese Kosten zusammen?
Wird die Person nach deutschem Recht über das sog. Entsendemodell angestellt, fällt zum einen die Vergütung für die betreuende Person selbst an. Diese entspricht i. d. R. dem Mindestlohn. Je besser die Deutschkenntnisse der Betreuungsperson sind, desto teurer wird es. Dann wird noch eine Gebühr an die Vermittlungsagentur gezahlt. Außerdem fallen Kosten für die Anreise an.
Achten Sie darauf, dass alle Kosten für die 24-Stunden-Kraft Posten für Posten aufgelistet werden.
Anna Huber
Was macht die Vermittlungsagentur genau?
Sie findet die passende Betreuungsperson und regelt das Vertragliche. Außerdem ist sie Ansprechpartnerin bei Problemen – z. B. dann, wenn die Betreuungskraft wegen Krankheit kurzfristig ausfällt.
Gibt es feste Tagessätze für 24-Stunden-Betreuer, an denen sich Familien orientieren können?
Meistens wird mit monatlichen Pauschalen oder Wochensätzen gearbeitet. Anders ist das, wenn die Betreuungskraft nur für einige Tage, z. B. im Rahmen der Verhinderungspflege, eingesetzt wird.
Gibt es „versteckte Kosten“ für 24-Stunden-Kräfte, auf die Familien achten sollten?
Die An- und Abreisekosten der Betreuungskraft sind häufig ein Thema. Die Person reist an, um die Versorgung zu beginnen und fährt nach etwa drei Monaten wieder nach Hause. Nach einer Auszeit reist sie dann später erneut an. Manche Anbieter listen diese Kosten extra auf. Oft sind sie aber auch im Gesamtpaket enthalten. Das ist dann so etwas wie eine Service-Pauschale. Mein Tipp an Familien: Achten Sie darauf, dass alle Kosten für die 24-Stunden-Kraft Posten für Posten aufgelistet werden.
Woher wissen die Familien, dass dann keine weiteren Mehrkosten auf sie zukommen?
Ich würde Familien empfehlen, immer noch einmal konkret nachzufragen, z. B. ob Reisekosten enthalten sind. Ausgaben für Kost und Logis sollten Sie übrigens auch bedenken. Die tauchen nicht auf der Rechnung mit auf, aber es wohnt eben eine Person mehr mit im Haus, die isst, trinkt, duscht und Heizkosten verursacht. Und diese Kosten müssen auch voll von der Familie getragen werden.
Tipp
So berechnen Sie den Eigenanteil für eine 24-Stunden-Betreuung
In unserem Ratgeber haben wir anhand eines Beispiels den monatlichen Eigenanteil für eine 24-Stunden-Betreuung berechnet.
Welche Finanzierungsmöglichkeiten gibt es für die 24-Stunden-Betreuung?
Grundsätzlich wird die Betreuungskraft nicht direkt von der Pflegekasse bezahlt. Man hat aber die Möglichkeit, die Betreuungskraft teilweise über das Pflegegeld zu finanzieren. Wenn die Pflege innerhalb der Familie gelöst wird, besteht Anspruch auf Pflegegeld, womit pflegende Angehörige entschädigt werden. Und dieses Geld können Familien für die Betreuungskraft verwenden. Im Prinzip können sie völlig frei entscheiden, welche Form der Versorgung oder Hilfestellung sie mit dem Pflegegeld bezahlen möchten.
Das Pflegegeld können Familien für die Betreuungskraft verwenden.
Anna Huber
Kann man zusätzlich zu einer 24-Stunden-Betreuung einen ambulanten Pflegedienst beauftragen?
Ja, das ist natürlich möglich. Dann werden Pflegegeld und Pflegesachleistungen als sog. Kombinationsleistung miteinander verrechnet. Der ambulante Pflegedienst rechnet die Pflegesachleistung direkt mit der Pflegekasse ab. Ein Restbetrag wird von der Pflegekasse als Pflegegeld an die pflegebedürftige Person ausgezahlt.
Das heißt, dass das Pflegegeld reduziert wird?
Richtig. Pflegegeld wird also dann nur noch anteilig gewährt. Grundsätzlich ist es für viele Familien sinnvoll, die Leistungen zu kombinieren – vor allem, wenn der Pflegebedürftige mit einer 24-Stunden-Betreuung allein lebt und Angehörige nicht vor Ort sind. Viele Betreuungskräfte haben keine Pflegeausbildung.
Info
Wann bekomme ich Pflegegeld, wann Kombinationsleistung?
Wenn eine Person mit anerkanntem Pflegegrad zuhause gepflegt und keine professionelle Hilfe wie bspw. ein ambulanter Pflegedienst in Anspruch genommen wird, dann wird das volle Pflegegeld ausgezahlt. Die Höhe hängt vom Pflegegrad ab. Sobald professionelle Hilfe eingebunden wird, kann eine Kombination aus Pflegegeld und Pflegesachleistungen beantragt werden. Dann wird zuerst die Leistung des ambulanten Pflegedienstes als Sachleistungen mit der Pflegekasse abgerechnet. Die Pflegesachleistung ist also zweckgebunden. Danach wird der Restbetrag an den Pflegebedürftigen ausgezahlt. Er kann frei darüber entscheiden, wofür er das Geld ausgibt.
Gibt es neben dem Pflegegeld weitere Möglichkeiten, die 24-Stunden-Betreuung zu finanzieren?
Ja, Familien können weitere Leistungen der Pflegekasse nutzen, um die Kosten für eine 24-Stunden-Betreuung zu decken:
Verhinderungspflege: Für die Finanzierung einer 24-Stunden-Kraft lässt sich das Budget der Verhinderungspflege nutzen. Voraussetzung ist, dass die pflegebedürftige Person mindestens ein halbes Jahr zuhause gepflegt wurde – entweder von Angehörigen oder einer 24-Stunden-Betreuungskraft.
Kurzzeitpflege: Zusätzlich kann die Hälfte der Kurzzeitpflege genutzt werden, wenn sie bis dahin noch nicht in Anspruch genommen wurde. Das volle Budget der Kurzzeitpflege beträgt 1.612 Euro, die Hälfte sind also 806 Euro im Jahr. Es lässt sich zusätzlich zu den 1.612 Euro Verhinderungspflege pro Jahr verwenden.
Betreuungs- und Entlastungsleistungen: Außerdem besteht die Möglichkeit, 125 Euro im Monat für Betreuungs- und Entlastungsleistungen zu nutzen. Mit diesen 125 Euro könnte man z. B. eine stundenweise Betreuung finanzieren, etwa für die Zeit, in der die 24-Stunden-Betreuung frei hat.
Beachten Sie, dass diese Ersatzbetreuung ein abrechnungsfähiger Anbieter sein muss. Abrechnungsfähig bedeutet, dass z. B. der ambulante Pflegedienst einen Versorgungsvertrag mit der Kasse hat.
Tipp
Pflegekosten von der Steuer absetzen
Sie können am Ende eines Steuerjahres die Kosten für eine 24-Stunden-Betreuung als Pflegekosten von der Steuer absetzen. So lassen sich die Endkosten nochmal um ein paar Hundert Euro reduzieren.
Müssen Familien die Belege für die 24-Stunden-Betreuung bei der Pflegekasse einreichen?
Nein, bei der Pflegekasse müssen Sie die Kosten nicht einreichen. Entweder bekommen sie das Pflegegeld ausgezahlt oder die Kombinationsleistung. Die Kasse hat direkt nichts damit zu tun.
Darf eine 24-Stunden-Betreuungskraft auch medizinische Behandlungspflege durchführen?
Nein. Medizinische Behandlungspflege ist eine Leistung nach SGB V. Sie wird komplett von der Krankenkasse finanziert und darf nur von ausgebildeten Pflegefachkräften durchgeführt werden.
Grundsätzlich ist es sinnvoll, die Leistungen zu kombinieren – vor allem, wenn der Pflegebedürftige mit einer 24-Stunden-Betreuung allein lebt und Angehörige nicht vor Ort sind.
Anna Huber
Die 24-Stunden-Betreuungskraft hat i. d. R. nichts mit Medikamenten zu tun, sie darf sie streng genommen nicht einmal in die Hand nehmen. Die medizinische Behandlungspflege wird komplett von der Krankenkasse übernommen und nicht von der Pflegekasse. Das bedeutet, die Kosten für die medizinische Behandlungspflege werden nicht von den Kombinationsleistungen abgezogen.
Können Sie das an einem Beispiel erklären?
Gern! Nehmen wir an, der Pflegedienst kommt morgens und hilft der pflegebedürftigen Person zusammen mit der 24-Stunden-Betreuungskraft beim Duschen. Diese Leistung wird von der Pflegekasse bezahlt und damit von der Kombinationsleistung abgezogen.
Tipp
So erhalten Sie mehr Kombinationsleistung
Um am Ende des Monats mehr von der Kombinationsleistung zu haben, sollten Sie sich darüber informieren, welche Leistungen als medizinische Behandlungspflege abgerechnet werden können.
Danach hilft der ambulante Dienst dem Pflegebedürftigen, seine Kompressionsstrümpfe anzuziehen. Diese Leistung übernimmt die Krankenkasse. Das heißt, die Kosten dafür werden nicht von der Kombinationsleistung abgezogen. Wichtig ist, dass sich die Betroffenen für die erforderliche Behandlungspflege eine Verordnung vom Arzt ausstellen lassen.